NETZWERK KIRCHE

Propst Frie Bräsen

Lächelnder Mann mit Brille vor Ästen

Die Geschichte der Kirche beginnt mit Netzwerken: Jesus beruft die 12 Jünger und darüber hinaus zieht er viele andere Menschen in seinen Bann und in die Nachfolge. Jene wiederum sendet er aus, dass sie langsam aber sicher das Netzwerk erweitern und verdichten. Ein Netzwerk aus Menschen, die sich überzeugen und begeistern lassen von der Botschaft des nahen Gottesreiches, die Heil und Versöhnung schenkt.

Die Geschichte der Kirche beginnt mit Netzwerken: Jesus beruft die 12 Jünger und darüber hinaus zieht er viele andere Menschen in seinen Bann und in die Nachfolge. Jene wiederum sendet er aus, dass sie langsam aber sicher das Netzwerk erweitern und verdichten. Ein Netzwerk aus Menschen, die sich überzeugen und begeistern lassen von der Botschaft des nahen Gottesreiches, die Heil und Versöhnung schenkt. Schließlich werden die Apostel beauftragt, an Jesu statt Führung zu übernehmen, dieses Netzwerk auszubauen, geografisch ebenso wie qualitativ. Paulus wird der 12. Apostel mit dem besonderen Auftrag, die Grenze zur nichtjüdischen Welt zu überschreiten und das Netzwerk in den ganzen Mittelmeerraum auszuweiten. Das jedenfalls ist sein großer Traum.

In der Apostelgeschichte werden über viele Kapitel seine Reisen und seine Arbeit am Netzwerk Kirche berichtet. Dabei ist es weniger relevant, ob alle Erzählungen einem historischen Wahrheitsanspruch standhalten. Wichtig ist die Idee, die in diesen Erzählungen Ausdruck findet. Was historisch ist und durch die paulinischen Briefe bestätigt ist: Paulus reist durch Kleinasien und Griechenland und gründet Gemeinden, er vernetzt Menschen miteinander, die sich zusammentun und -finden, um den gemeinsamen Glauben zu teilen. Und Paulus verbindet die Menschen über die Gemeinden und über den Ort hinaus, er schreibt Briefe, er sammelt eine gemeinsame Kollekte für die Urgemeinde in Jerusalem, er entsendet immer wieder Mitarbeiter, um die Gemeinden zu stärken. Und das alles ohne jegliche institutionelle Form, sondern mit einem Netzwerk, das lediglich auf menschlichen Beziehungen und auf gemeinsamen Inhalten basiert. Aber ein Netzwerk, das ein immenses geografisches Territorium umfasst über kulturelle, sprachliche und ethnische Grenzen hinweg.

Auf einer seiner Reisen, so berichtet die Apostelgeschichte, kommt Paulus in die Stadt Athen, dem Zentrum der Gelehrsamkeit, der Philosophie, aber auch der Gottheiten und Götter. In gewisser Hinsicht: Paulus begibt sich in die „Höhle des Löwen“, um auf dem symbolischen Platz der Debatten und Diskurse, dem Areopag, zu reden. Folgende Worte seiner Rede werden uns überliefert:

„Ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“

Im Angesicht der beeindruckenden Tempelbauten Athens und der damit verbundenen selbstbewussten Hoch-Kultur nimmt Paulus ein Element dieser Kultur auf: den Altar mit der Aufschrift „Dem unbekannten Gott“. Von dem Gedanken des „Unbekannten“ leitet Paulus über zum theologischen Gedanken des „Unverfügbaren“, denn Gott wohnt für ihn nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, von denen sie in Athen umgeben sind. Paulus holt in seinen Gedanken Gott aus den Sinnbildern der Tempel heraus, weil Gott sich so nicht manifestieren lässt. Auch jener Altar ist zwar ein Hinweis, aber kein Sinnbild für Gott. Paulus abstrahiert von den Orten, an denen die Menschen Gott glauben, und weitet den Blick auf den ganzen Erdkreis und das ganze Menschengeschlecht, und jedem Menschen ist von Gott selber „Leben und Odem und alles“ gegeben. „Und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“

Mit dem schöpfungstheologischen Ansatz, dass Gott nicht nur Erdkreis und die darauf wohnen geschaffen hat, sondern auch jedem und jeder einzeln alles gegeben hat, was sie oder ihn ausmacht, verbindet sich für Paulus der Gedanke von Gottes lebendiger Präsenz unter uns Menschen, dass wir in ihm leben und weben und sind. „Er ist nicht ferne einem jeden von uns“ bedeutet dann, dass uns zum einen in unseren Mitmenschen ein Geschöpf Gottes begegnet, dass sich zum anderen aber auch Gott selber in diesem Geschöpf uns nähert. „In ihm leben, weben und sind wir.“ Gott verwirklicht sich im Leben. Und Leben ist immer ein Sein in Begegnungen, in Beziehungen und in Verbindungen. Gott verwirklicht sich nicht in Tempeln, die Menschen sich als Sinnbilder für das Unverfügbare schaffen, sondern Gott verwirklicht sich da, wo Menschen miteinander leben und weben und sind.

Auch die Institution Kirche haben Menschen geschaffen, um diesem gemeinsamen Leben eine Organisationsform zu geben. Nun darf aber die Institution nicht zum Tempel werden oder zum Altar für den „Unbekannten Gott“. Kirche ist weit mehr als die Institution, Kirche ist das weltweite Netzwerk der Menschen, die sich zu dem Gott verbunden glauben, der in Christus einem jeden von uns nicht ferne ist. Das Bindemittel dieses weltweiten Netzwerkes ist Gott selbst in seinem schöpferischen Geist. Und wir sind berufen, uns vernetzen zu lassen und selber Netzwerke zu knüpfen, denn „in ihm leben, weben und sind wir.“ Die Institution mit ihren Ämtern und Gremien hat die wichtige Aufgabe, die weltweiten Netzwerke zu befördern und einen jeden von uns immer wieder zu ermutigen, Netzwerkerinnen und -werker zu werden und zu sein. Die Institution ist also nicht die Kirche, sondern dient der Kirche, der Gemeinschaft der Menschen, die in Gott leben und weben und sind. Kirche ist aus Prinzip und von Anfang an Netzwerk, und Christen sind aus Prinzip Netzwerkerinnen und Netzwerker. Wenn dem unsere Institution oftmals entgegensteht liegt es auch an denen „da oben“, die mit der Macht ihrer Ämter manches be- und verhindern, aber es liegt auch an denen „da unten“, die die Institution viel zu wenig mit Netzwerken beleben.