SICH FÜR MENSCHEN ENGAGIEREN ‒ ALLER EHREN WERT!

Pastor Andreas Wackernagel, Leiter der Institutionsberatung der Nordkirche

Mann mit Bart im Jackett

„Was ist eigentlich die Ehre am Ehrenamt?“ Achtklässler drängen sich auf den Bänken unserer Dorfkirche St. Georg zu Jevenstedt, um mit Ehrenamtlichen zu diskutieren. Neugierig bis skeptisch sind die Vierzehnjährigen: „Wie kommt ihr dazu, euch freiwillig und ohne Geld für andere in der Gemeinde zu engagieren? Was habt ihr davon? Und noch einmal: Was ist das mit dieser Ehre?“

„Kol ha-kavod!“ ist in Israel oft zu hören. Wörtlich heißt es: „Voll der Ehre!“

„Ehre“ – in bewusster Absetzung zur eigenen Geschichte gehört es bei uns zum guten Ton, die Frage der Ehre gelassen zu hören. Die deutsche Gesellschaft ist so frei, dass sie nicht diesen oder jenen Aufreger zu einer Frage der Ehre erheben muss. Unlängst jedoch sah sich der Chef des Kanzleramtes, Peter Altmeier, veranlasst, ehrenrührige Angriffe aus Ankara zu kontern: „Wir verwahren uns entschieden gegen Nazi-Vergleiche … Die Türkei legt immer großen Wert darauf, dass die Ehre ihres Landes nicht verletzt wird. Auch Deutschland hat eine Ehre!“ Verblüffend solche Töne! Verblüffend auch die Vorstellung, ein Land, eine staatliche Instanz beziehungsweise ein soziales Gefüge als Ganzes könnte so etwas wie „Ehre“ haben.

Menschen, ganz gleich aus welchem Land sie kommen, ja, Menschen haben Ehre. Eine besondere Ehre, die allen Menschen gleichermaßen innewohnt. Es ist die Ehre, nach dem Bild Gottes geschaffen zu sein. Es ist die Ehre der göttlichen Anerkennung am Ende des Schöpfungsaktes: „Siehe, sehr gut!“ Ihn, den Menschen, stellt Gott in das Licht seiner Herrlichkeit und Majestät. Ihm, dem Geschöpf, verleiht der Schöpfer Glanz und Bedeutung. Herrlichkeit und Majestät, Glanz und Bedeutung – sie alle kommen zusammen in diesem einen Wort: KAVOD, Ehre.

„Kol ha-kavod! Voll der Ehre!“ meint: Respekt! Herrlich! Gut gemacht! Danke!

Mehr als zweihundert Mal spricht die hebräische Bibel von „Kavod“. Kavod meint nicht nur den Wesenszug, durch den Gott den Menschen unverbrüchlich ehrt. Kavod meint auch das, was Menschen einander an Ehre zugestehen. Ehre Gottes und menschliche Ehre – das sind zwei Paar Schuh. Anders als Gottes Ehre ist die zwischen Menschen relativ, zerbrechlich. Auf Erfahrung, auf dem Ruf oder auf Anerkennung beruht menschliche Ehre. Sie kann zugesprochen, verliehen oder erworben werden. Du hilfst anderen? Das ehrt dich! Dein Verhalten ist aller Ehren wert. Weil du ehrenhaft bist, kann ich dir vertrauen und deinem Wort Gewicht geben. So weit so gut. Allerdings kann die Ehre eines Menschen auch auf dem Spiel stehen. Schlimm, wenn Menschen in ihrem Ehrgefühl angegriffen oder verletzt werden, wenn ihnen die Ehre abgesprochen, abgeschnitten oder genommen wird.

Wie eine Impfung gegen Vertrauensmissbrauch und ehrloses Verhalten sind ethische Orientierungen wie die Zehn Gebote des Mose. Oder das zweifache Liebesgebot Jesu: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft lieben – und deinen Nächsten wie dich selbst“. Wer sich in diesem Geist den Menschen zuwendet, sich für sie engagiert, gerne auch ehrenamtlich, der macht seinem Schöpfer alle Ehre.

„Kol ha-kavod! Respekt! Herrlich! Gut gemacht! Danke!“, denn sich aus eigenem Antrieb für andere zu engagieren ist aller Ehren wert.

Am Ende des Vormittags verstehen die Achtklässler in den Kirchenbänken, was es mit dem Ehrenamt auf sich hat. Die Ehrenamtlichen, die sich den Fragen der Schüler stellten, machten deutlich: Erstens schenkt es eine tiefe Befriedigung, anderen etwas weiterzugeben, was selbst empfangen wurde: Aufmerksamkeit und Zeit, Wissen und Hilfe. Einfach so. Aus Überzeugung. Etwas Sinnvolles „um der Ehre willen zu tun“ ist oft wertvoller als eine Bezahlung. Zweitens stärkt der Zuspruch aus der Gemeinschaft das Selbstwertgefühl. Ich werde in meiner Rolle, beispielsweise als Gruppenleiter mit JuLeiCa, angenommen. Die anderen vertrauen mir. Ich kann etwas bewirken. Drittens: Es gibt Halt, einander in gegenseitiger Liebe, Achtung, Wertschätzung und Hochachtung zu begegnen; und in diesem Geist miteinander zu arbeiten, zu lernen und zu wachsen.

Ein solches freiwilliges Engagement ist aller Ehren wert. Darum:  Kol ha-kavod! Respekt! Herrlich! Gut gemacht! Danke! … Und ein herzlicher Applaus von den Kirchenbänken.

Pastor Andreas Wackernagel
Leiter der Institutionsberatung der Nordkirche